Abitur 1998 am FvSG

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Eine Stimme sprach aus dem Chaos:
"Lächle und sei froh,
es könnte schlimmer kommen."
Und ich lächelte, und war froh,
und es kam schlimmer.

In unserem Jahrgang gingen nicht die Leistungskurse, sondern die musischen Kurse auf Studienfahrt, und für den Musik- und Literaturkurs hatte man als Reiseziel die Wiege der Kultur, die Toskana, ausgewählt. (Dabei ist uns bis heute verborgen geblieben, wer sich hinter "man" versteckt. Obwohl Gerüchte kursierten, daß nur eine Person für diese Entscheidung verantwortlich sei, gab es nie eine offizielle Bestätigung. Also muß jeder nen bißchen nett, freundlich seine eigene, ganz persönliche und individuelle Antwort finden.)
Als das Reiseziel und die begleitenden Lehrer feststanden, konnte man unterschiedliche Reaktionen beobachten. Es gab die ganz mutigen (oder naiven) Schüler, die diese Fahrt als ein Abenteuer der besonderen Art betrachteten, während die realistischer veranlagten im Vorfeld der Fahrt an speziellen Überlebensworkschops teilgenommen haben sollen. Dabei hätte jeder, der Frau Haun kennt, wissen müssen, daß es für Normalsterbliche unmöglich ist, auch nur annähernd den Zustand zu erreichen, der für Frau Haun Alltag ist.
Und so quälte dann am 21.06.1997 gegen 17.00 Uhr viele der Trennungsschmerz, viele aber auch die Vorahnung, daß sie sich auf etwas eingelassen hatten, von dem es nur noch ein Zurück gab: von jetzt auch gleich ins Koma zu fallen. Natürlich hatte der Bus Verspätung, doch konnte niemand diese letzte Gnadenfrist genießen, denn es regnete in Strömen. Als der Bus endlich kam verstauten wir das Gepäck und erkämpften uns dann, wie es sich für SchülerInnen die ein Jahr vor dem Abitur stehen gehört, unsere Plätze. Die Sitzordnung war von diesem Moment an so unabänderlich und kompromißlos wie alles andere an dieser Fahrt auch. Die Schlaflosigkeit, das Lästern, das Kartenspielen und der Versuch, auch mit den Leuten small-talk zu betreiben, die man eigentlich so gar nicht leiden konnte, bestimmten die Busfahrt. Und wer die Bussitze auch nach Anwendung aller bekannter Suggestionsmöglichkeiten immer noch nicht für sein Bett halten konnte, durfte die Schweiz bei Nacht erleben.
Trotz anfänglicher Verspätung war Karl-Heinz schneller als vorgesehen, so daß wir genau zu der Zeit, zu der man schon einmal ein erstes Frühstück zu sich nehmen konnte, vor Mailand waren. Es brauchte massive Gruppendynamik, um Frau Haun von der Idee, um sechs Uhr in den nicht geöffneten Cafes frühstücken zu wollen, abzubringen.
So kamen wir denn vier Stunden zu früh in Florenz an. Nachdem wir eine dreiviertel Stunde vor der Jugendherberge gewartet hatten, durften wir unser Gepäck abstellen, und uns in drei Stunden mehr Kultur als geplant zu stürzen. Wir guckten uns also "schnell mal eben" die Stadt an. Durch unsere halbgeöffneten Augen sahen wir die Stufen des Doms und die Füße der übrigen Touristen. Während Frau Haun sichtlich auflebte, begriffen wir, daß die Kursfahrt unter dem Motto "Florenz sehen und sterben" stand.
Der Höhepunkt des Tages war der Augenblick, als wir unsere Zimmer betreten durften. Bett und Dusche standen uns endlich zur Verfügung. Nach dem Kulturschock hätten wir auch im Stehen schlafen können. Vielleicht wäre das bequemer gewesen, denn in den unteren betten wurde die Angst, der Himmel könnte einem auf den Kopf fallen, erschreckend realistisch. Aber drei betonharte Sperrholzstreben auf Höhe 7.Halswirbels, des 1.Lendenwirbels und des Wadenbeins gaben einem das sichere Gefühl, daß die Matratze nicht hinunterfallen würde. Und diese Sicherheit verspürte man bis in den Tiefschlaf hinein.
Morgens konnte man sich, obwohl Italiener ja bekanntlich nicht frühstücken, in eine Schlange stellen, um einen rosa Zettel gegen "una cioccolata" einzutauschen. Die Herbergsleitung wußte wohl aus langjähriger Erfahrung, wie schnell die Frage, ob die Fenster über Nach geöffnet bleiben sollen oder nicht, eskaliert. Deswegen stellten sie nur Plastikmesser zur Verfügung. Nicht bedacht hatte sie jedoch die Konsistenz der Brötchen, an denen die Messer gnadenlos scheiterten.
Abens gab es im Tausch gegen einen gelben Zettel Nudeln mit Tomatensauce und Salat. Die Nudeln hatten jeden Tag eine andere Form und die Sauce konnte von Fleisch bis Fisch so ziemlich jeden Geschmack annehmen. Der Salat war frei nach dem Zufallsprinzip mal belebt, mal unbelebt, mal mit Mozarella, mal ohne. Da die freundlichen Damen an der Essensausgaben außer Italienisch keine Sprache fließend beherrschten, gab es für uns keine Möglichkeit die Zusammensetzung unseres Essens selbst zu bestimmen.
Während des Abendessens wurde per stiller Post die Planung für den Abend weitergegeben. Je länger die Fahrt dauerte, desto weniger Kulturliebhaber fanden sich, die mit Frau Haun und Edgar Wild durch Florenz ziehen wollten. Dagegen nahm die Zahl der aufrechten Kulturbanausen immer weiter zu. Diese lernten ganz besonders Herrn Schielke zu schätzen, der uns zu wahren Meistern des Doppelkopfs machte.
Waren wir einmal auf "Kultour", gab es nichts mehr, was die Flut von Referaten, die täglich auf uns niederging, aufhalten konnte. Stets schlossen sich uns einige irrgeleitete Touristen an, die Frau Hauns ergänzenden Erklärungen hingerissen lauschten. Wir dagegen wußten schon nach der dritten Kirche nicht mehr, in welcher Stadt wir uns befanden. Aber letzendlich war das egal, denn wir konnten sicher sein, daß wir alles gesehen hatten. Als uns langsam klar wurde, daß es in der Toskana mehr Kirchen gab, an denen wir nicht einfach nur vorbeigehen durften, als damals Kohle im Ruhrgebiet, wurde Herr Schielke für uns zum Symbol des organisierten Widerstands. Denn er war der einzige, der bei Frau Hauns Planung Gnade finden konnte. Und so rettete er uns an einem endlosen Kulturtag kurz vor Sonnenuntergang vor drei weiteren Kirchen. Wir schafften es sogar mit seiner Hilfe Frau Haun zwischen dem schiefen Turm von Pisa und dem Vinci Museum eine viertel Stunde Urlaub am Meer abzuringen.
Wir haben diese Fahrt zu unserer Überraschung trotz allem überlebt. Wir waren uns zwar nicht ganz sicher, ob die Medici oder die Borgia die Domkuppel gestaltet haben, aber wir wissen, daß die Türen der Uffizien ein Meisterwerk Giottos sind.
Auf der Rückfahrt haben wir dann die Schweiz bei Tag gesehen und festgestellt, daß es keinen Unterschied macht, da man in der Schweiz die ganze Zeit durch Tunnel fährt.
Jetzt wissen wir, warum wir Oberhausen so mögen: Weil diese Stadt so gar keine Kultur hat.

(bw, jr)




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